Die Liste bedeutet Leben

Movie-Klassiker: Schindlers Liste
Bildquelle: 
Universal Pictures

Unter der Rubrik «Movie-Klassiker» sammelt Bäckstage ab sofort Filme, die die Redaktion für besonders empfehlenswert hält. Das kann vom Kultfilm über Trash-Vergnügen bis hin zu diskussionslosen Klassikern gehen. 

 

Vor zwanzig Jahren erschien jener Film, der Steven Spielberg im übertragenen Sinne zum Mann werden liess. Zuvor hatte Spielberg den Ruf, das grosse Kind Hollywoods zu sein. Die radikale und nüchterne Sprache, die Spielberg für «Schindlers Liste» fand, zeigt einen Bruch in seiner bisherigen Filmografie. Das erste Mal spiegelte Spielberg die Realität, so direkt und hart, ungeschönt und unmittelbar wie er es später nur in der Eröffnungssequenz von «Der Soldat James Ryan» erneut tat. 

 

Bild 1: Ralph Fiennes als SS-Kommandant Göth mit steinerner Miene. / Bild 2: Die Schindlerjuden können noch gar nicht glauben, dass sie frei sind. (Mit Maus über Bild fahren) 

 

«Schindlers Liste» beleuchtet den Holocaust am Beispiel des deutschen Industriellen Oskar Schindler. Während um ihn herum in Krakau die Juden unterdrückt und gezwungen wurden, den Davidstern zu tragen und in einem Ghetto aus 16 Häuserblocks hausen mussten, während durch Lautsprecher immer neue Vorschriften verkündet wurden, hangelte sich Schindler geschickt durch die Welt. Als Mitglied der NSDAP genoss er die Möglichkeit, weiter Geschäfte zu machen. Er verkehrte und feierte mit den Nazis, obwohl er gänzlich unpolitisch war, ein klassischer Opportunist also. Nicht sonderlich sympathisch, aber überall akzeptiert. Schindler übernahm eine Emailfabrik und kauft bei den Nazis «billige» Arbeitskräfte, die aus dem KZ stammten. Für die Buchhaltung konnte er Itzhak Stern (Ben Kingsley, «Gandhi») gewinnen. So konnte er ein beträchtliches Vermögen erzielen und ging im Arbeitslager Auschwitz ein und aus. Bis heute weiss niemand, wieso Schindler plötzlich einen Meinungsumschwung hatte. Er selbst hat dieses Geheimnis mit ins Grab genommen als er 1974 starb. 

 

Kartenspiel um das Hausmädchen von Kommandant Göth

 

Jedenfalls hatte Schindler die Idee, ein kleines Nebenlager direkt bei seiner Fabrik zu bauen, um wenigstens einige Juden vor den Qualen und den Peinigungen des menschenverachtenden SS-Kommandant Göth (Ralph Fiennes, Voldemort in den «Harry Potter»-Filmen) und seinem Gefolge im KZ zu schützen. Unter ständiger Lebensgefahr gab Schindler den Nazis vor, Granaten herzustellen, während er gegenüber Stern versicherte, dass keines seiner Produkte jemals funktionieren werde. Als die Nazis im Zuge der «Endlösung» 1944 entschieden, dass sämtliche Nebenlager geschlossen und die Juden nach Auschwitz gebracht werden sollten, kauft Schindler mit seinem eigenen Vermögen so viele Juden wie möglich, um sie als Arbeitskräfte vor dem sicheren Tod zu retten. Schindler spielte sogar mit dem SS-Kommandanten Göth Karten um das Leben von Göths Hausmächen. Die Juden wurden in geschlechtergetrennten Zügen in Schindlers Fabrik gefahren und waren somit gerettet. Die Liste der Juden, die in Schindlers Fabrik arbeiten durften, führte Itzhak Stern. Er sagte darüber: «Die Liste bedeutet Leben. Um sie herum liegt der Abgrund.» 

 

Bild 1: Der Eingang zum Krakauer Ghetto und (Bild 2) Steven Spielberg, der dick eingepackt Regieanweisungen gibt.  

 

Steven Spielberg, der selbst Jude ist, sagt, dass er «Schindlers Liste» nicht machen konnte, als ihm das Buch 1982 erstmals angeboten wurde. Er fühlte sich einfach nicht reif genug. Die Geschichte zum Film begann an einem unbestimmten Tag, als Poldek Pfefferberg, einer der Schindlerjuden, das Lederwarengeschäft von Thomas Keneally in Beverly Hills betrat. Er musste etwas warten und erzählte dem Besitzer die Geschichte jenes Mannes, der ihn und viele andere Juden vor dem KZ gerettet hatte. Schindlers Geschichte packte Keneally, also begann er zu recherchieren und schrieb schliesslich den Roman. 

 

Schattenspiel zwischen Film Noir und «Citizen Kane»

 

Spielberg reflektiert, dass der Film sich deutlich von seiner bisherigen Arbeit abheben sollte. «Bisher hatte ich Fantasieprodukte gemacht, reine Unterhaltung, und ich bin stolz auf sie. Dieser Film aber sollte anders aussehen.» Ihm schwebte ein Stil vor, der dokumentarisch wirken und an Zeitzeugnisse aus jener Zeit, die in Form von Bildern und Videos überliefert sind, erinnern sollte. Viele dieser Dokumente sind farblos. Darum musste der Film in Schwarz/Weiss gedreht sein. Die Entscheidung lässt sich leicht nachvollziehen und sie ist für den Stil des Films elementar wichtig. Denn einerseits hatte Spielberg so die Möglichkeit, kleine Details wie das berühmte Mädchen mit dem roten Mantel farblich als brutales Symbol für die Geschehnisse in Krakau auf einen Sockel zu stellen, ohne, dass man als Zuschauer das Gefühl hat, überfordert zu sein. Andererseits erlauben die farblosen Bilder ein sehr geschicktes Spiel mit Licht und Schatten. Wenn Liam Neeson zu Beginn mit den Nazis feiert, wirkt das Licht auf seinem Gesicht wie in einem Film Noir, fast kühl und weckt Assoziationen zum Schattenspiel bei «Citizen Kane». In der frühen Phase des Films weiss man dadurch nicht, wie Schindler einzuordnen ist. Gleichzeitig wird Neeson, der Oskar Schindler spielt, durch die kühle Inszenierung zum Kontrastpunkt zur Dekadenz der Nazis. 

 

Bild 1: Das Schattenspiel auf dem Gesicht von Oskar Schindler (Liam Neeson) könnte alles bedeuten. / Bild 2: Schindler bei der Party mit den Nazis.  

 

Perfekt bis ins kleinste Detail wurde «Schindlers Liste» inszeniert. Von den Uniformen bis zur Musik, die während der grausamen medizinischen Untersuchungen auf dem Appellierplatz lief. Aus Respekt verzichtete das Team aber darauf, in Auschwitz zu drehen, obwohl die Drehgenehmigung erteilt worden war. Das KZ wurde in der Nähe des originalen Auschwitz detailgetreu nachgebaut. Interessanterweise haben viele Regisseure das Projekt abgelegt. Martin Scorsese hatte Interesse, meinte aber, der Film müsse von einem jüdischen Regisseur gemacht werden, Roman Polanski wäre zwar jüdisch, fühlte sich jeddoch damals nicht fähig, einen Film zu diesem Thema zu inszenieren. Später sollt er mit «Der Pianist» das Thema doch noch aufgreifen. Und Billy Wilder, der den Film eigentlich selbst machen wollte, überzeugte schliesslich Spielberg, den Film zu machen. 

 

Die geheimnisvolle Hand

 

Der Schluss des Films zeigt die Schindlerjuden mit ihren jeweiligen Darstellern, wie sie am Grab von Oskar Schindler, das auf einem jüdischen Friedhof in Israel liegt, respektvoll Steine niederlegen. Menschen, die ohne einen einzelnen Mann nicht mehr leben würden. In dieser Schlussszene übt sich der Film in Zurückhaltung, lässt den Überlebenden die Zeit, um sich in Ruhe bei dem Mann zu bedanken, dem sie ihr Leben verdanken und die Bilder wirken. Ganz am Schluss legt eine geheimnisvolle Hand eine rote Rose auf die Grabplatte. Lange wurde spekuliert, dass es Spielbergs Hand sei, aber tatsächlich gehört sie Liam Neeson.  

 

Bild 1: Oskar Schindler hat das «Chefspielen» im Blut. / Bild 2: Er kann aber auch gut reden. Hier bei der Verkündung, dass der Krieg zu Ende sei.  

 

Ben Kingsley zitiert als Itzhak Stern im Film einen Satz aus dem Talmud, der in die Filmgeschichte einging und die Zivilcourage von Oskar Schindler unterstreicht: «Wer nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.» Die 1100 Juden, die Schindler retten konnte, haben inzwischen 6000 Nachkommen bekommen, während im zweiten Weltkrieg über 6 Millionen Juden ermordet wurden. «Schindlers Liste» hat 7 Oscars gewonnen, darunter die Statuen «Bester Film» und «Bester Regisseur». Beide Preise hat Spielberg für sein Meisterwerk über eines der schlimmsten Kapitel der jüngsten Menschheitsgeschichte, verdient bekommen.

  

 

  • Schindlers Liste - 20th Anniversary (USA 1993)
  • Regie: Steven Spielberg
  • Drehbuch: Thomas Keneally (Roman), Steven Zaillian (Screenplay)
  • Besetzung: Liam Neeson, Ben Kingsley, Ralph Fiennes, Friedrich von Thun
  • Laufzeit: 195 Minuten
  • Blu-Ray-Verkaufstart: 11. April 2013
Patrick Holenstein / Mi, 10. Apr 2013